8 Jan 2013




1 WOLHYNIEN - EIN VERMÄCHTNIS



Da steht er nun an der Straßenecke und fragt sich: „Wo will ich hin, wo komm‘ ich her, was ist das Ziel?” ̶ und kennt nicht einmal den Weg. Die Zukunft bleibt eine Unbekannte, so wie das Vergessene und Vergangene in nebulöser Historie beide nach dem Pfad der hellen Erleuchtung suchen. Wie kann der Mensch wissen, wo er hin will, wenn er nicht einmal weiß, wo er herkommt!

In blutroter Abendsonne flackern die ersten tanzenden Methan-Irrlichter der verstorbenen Seelen auf dem Fluss Turya (Тур'я), der sich durch die ausgedehnten Wälder und Moore der Ukraine bohrt und dabei die alte Handelsstadt Wladimir Wolinsk umgeht. In lockerer Anhäufung überziehen Weiler und Dörfer das Land. Aus dem Lehm, Stroh und Torf der weiten Ebenen sind auch die schlichten Häuser errichtet, an deren Wänden sich Wind und Morgennebel festkrallen, um alles mit Gewalt zu Boden zu drücken. Schwer drückt auch die tägliche Last der Feldarbeit auf den Schultern der Menschen, die vor Jahren hierher gekommen sind, damit die Kinder und Kindeskinder nicht mehr mit Hunger und Kälte ins Bett gehen müssen. Vor mehr als zweihundert Jahren kamen die ersten Neusiedler aus den überfüllten deutschen Kleinstaaten, um eine neue und bessere Welt vorzufinden. Der Schwarzerdeboden steckt voller Lebenskraft ̶ beschert den Bauern die erhofften jährlichen Ernten und lässt ein Leben in gerechtem Frieden und erarbeitetem Wohlstand verheißen.
Der Krieg quält sich in sein letztes Jahr hinein, als auf der vom ersten Schnee verwehten Landstraße Pferdewagen und einzelne Reiter an den Menschen vorbei-ziehen. Viele haben sich in die Häuser geflüchtet oder beugen sich verängstigt hinter Pflug und Egge an den angrenzenden Feldern. Vereinzelt tropft Blut auf den festgefahrenen Sand. Verschmutzte Kopfverbände der Verwundeten heben sich nur unscheinbar von den zerschlissenen Uniformen der heimkehrenden oder flüchtenden Soldaten ab. Aus Petrograd kommen die neuen Nachrichten von der Revolution und dem Sturz des Zaren. Jetzt wird um die Macht gestritten. Der Krieg ist nun vorbei ̶ wer wird der neue Herr sein? Es war schon immer so in ihrem Leben, dass sie einem Herren dienen mussten. Sollte es etwa anders kommen ̶ die Zukunft glücklicher für sie ausfallen? Die Kinder laufen schon lange nicht mehr dem Tambourspieler hinterher. Das ist bereits vorbei, und keiner zählt noch die grauen Jahre des ewigen und langwierigen Hin und Her, der nie enden wollenden Angriffe und Gegenangriffe ̶ der neuen und alten Schützengräben. Wer wird ihnen nun das Korn und die Kartoffeln beschlagnahmen? Auch diesmal wird es der Bauer sein, der dem Krieg mehr als nur den Zehnten in den Rachen schieben soll! In der Gemeinde gibt es schon lange kein anderes Thema mehr. Ist das noch ihr Land oder gar ihr Krieg?
Aus der Stadt kommen die ersten Gerüchte, dass der eine oder andere bereits seine letzten Sachen gepackt hat und sich auf den Weg nach Amerika macht, um ja vielleicht dort endlich den Frieden mit sich, Gott und der Welt zu finden. Bereits noch während der Zwangsaussiedlung vom Juli 1915 sind beinahe alle der rund 300.000 Wolhyniendeutschen aus dem zaristischen Russland nach Deutschland geflohen oder wurden nach Kasachstan, in den Ural sowie andern Orts zwangsumgesiedelt. Geblieben sind in dieser Zeit der Wirren nur sehr wenige, die in gemischter Ehe lebten oder eine andere Art des erhofften trügerischen Glücks hatten. Als deutsche Minderheit sind sie so oder so der zaristischen Despotie ein Dorn im Auge gewesen. Manch einer, den man nicht zur Armee gezwungen hat, ist nur mit den Kleidern am Leib auf dem langen Marsch ins Ungewisse. Ihre armen Vorfahren hatten zwar ebenfalls nicht viel mehr mitgebracht, als sie noch vor Jahren Deutschland verließen, kamen aber mit der Vorfreude auf einen besseren Lebensabschnitt nach Wolhynien. Wer hingegen nur seine nackte Haut noch besitzt, konzentriert sich auf die Flucht und das Stück Brot für den nächsten Tag.
Russen, Ukrainer, Deutsche, Polen und andere Leute leben in den Dörfern, wenn nicht eben miteinander, so doch nebeneinander. Mit den Jahren haben sich alle auf ihrer Scholle oder in den Straßen von Wladimir Wolinsk, der von Juden überfüllten Stadt, einander gewöhnt und arrangiert. Für die Schule bleibt nicht viel Zeit, wenn die Schule des Lebens die Menschen früh erwachsen werden lässt. Gehorsamkeit und Disziplin bilden somit auch die alte traditionelle Lebenseinstellung in allen kinderreichen Familien, welche sich am Sonntag in der lutherischen Gemeindekirche um den Pfarrer scharen. Gerade jetzt müssen alle zusammenhalten, wie schon so oft in ihrem Leben der Entbehrungen und täglichen Angst und Mühsal um die nächste Ernte und gegen die Widrigkeiten des Lebens. Streng ist der Vater, wenn es um Gerechtigkeit und das Überleben in diesem riesigen Reich geht, das sich im Grunde genommen den Krieg gar nicht leisten kann.
Doch es sollte noch viel schlimmer und schmerzlicher kommen für die ganze Gemeinde. Die Zeit des Krieges, der Revolution, des anschließenden Bürgerkrieges, des erneuten Einfalls der polnischen Soldatenhorden und der ungewollten wie vorübergehenden Aussiedlung aus ihrem neuen Land, sollte und hatte ihnen bereits die letzte Luft zum Atmen genommen. Sie würden nichts weiter als die eigene trockene Erde in den täglichen Kochtopf geben und sich noch einmal drei lange Jahre bei fremden ungewollten Herrn in Deutschland die erneute ungewisse Rückreise nach Hause, in ihre alte Heimat ̶ nach Wolhynien, schwer erarbeiten.
Nach der Revolution von 1917 und den ersten Kämpfen um die neue Macht im Land haben Lenin und seine Bolschewiki in schmerzlicher und dennoch kluger Weitsicht dem imperialistischen Deutschland den vorzeitigen Frieden angeboten. In dreister Überheblichkeit sahen die Führer in Berlin und Wien ihre Chance gekommen, um den Krieg im Osten dennoch für ihre Interessen auszukosten und fortzusetzen. Was die junge Sowjetunion jetzt aber brauchte, war ein Ende der kriegerischen Auseinandersetzungen. Das Land stand am Abgrund ̶ die Macht war noch nicht gefestigt, die 14 Geier der Entente-Interventen und alle national-chauvinistischen Büttel des internationalen Finanzmonopols wollten die Karten neu mischen. Da zog die OHL (Deutsche Oberste Heeresleitung) unter ihrem Erich Ludendorf die Fortsetzung des Krieges in Betracht, um die neue Regierung der Bolschewiki in Petrograd absetzen und weite Teile des Landes okkupieren zu können. Was nun folgte, war der bekannte Raubfrieden von Brest-Litowsk vom 3. März 1918. Leo Trotzki hatte bereits vorher die erpresserischen Verhandlungen mit den Deutschen abgebrochen. Die Russische Revolution hatte zwar eine schwer erkämpfte Atempause, um das Land wieder aufbauen zu können, musste das aber mit einem hohen Preis bezahlen. Es sollte aber noch schlimmer kommen! Bereits am 18. Februar 1918 marschierten die ersten deutschen Verbände abermals in die Ukraine ein. Durch die Offensive der Mittelmächte, Deutschland und Österreich, kam es zu Kämpfen im Westteil des Landes und somit auch in Wolhynien! Damit verlief die erneute Stellungsfront in Nord-Süd-Richtung von Riga im Baltikum, dann runter über Belorussland ̶ Pinsk, Baranowicze und weiter durch Galizien und die Bukowina ̶ Czernowitz in der Ukraine. Nachdem dieser erneute kaiserlich-imperialistische Einmarsch beendet war, hatten die Deutschen weite Teile der Ukraine, Belorusslands und bis Tief nach Süd-russland hinein auch noch die Krim besetzt. Als dann das Deutsche Reich endlich im Ersten Weltkrieg besiegt worden war, kam die Bedrohung aus einer ganz anderen Ecke. Die neuen Nationalisten in der Ukraine, dem Baltikum und all den anderen frisch er-standenen Ländern nach 1918, wollten ihren Teil vom Kuchen abhaben und glaubten auch gleich noch, die neue Idee des Sozialismus ausradieren zu können. Viele dieser neuen Länder aus der Retorte hatten auf der einen oder anderen Seite im Krieg gestanden, waren aber gegen eine soziale Revolution in ihren eigenen Ländern. Somit standen die Bolschewiki mit dem Rücken zur Wand und mussten sich eben auch noch mit den Polen und anderen historischen Imperialisten auseinandersetzen. Es sollte aber nicht der erste und letzte Konflikt um Grenzverschiebungen, Absatzmärkte und Rohstoffe werden. Die Geschichte Polens, Russlands, der Ukraine und des Baltikums ̶ Litauens, ist mit mehr als einem Tropfen roten Blutes geschrieben. Polen war immer schon zu schwach, um im Westen für sich punkten zu können, befriedigte hingegen seine imperialistischen Gelüste auf Kosten der vielen Völker im Osten. Polen war auch mit eines der ersten Länder, die den Faschismus hoffähig machten. Nicht umsonst kämpfte das progressiv-kommunistische Bataillon Jaroslaw Dombrowski im Spanischen Bürgerkrieg von 1936-1939 aufseiten der jungen Spanischen Republik, um nicht nur diese historische Schande zu tilgen! Das Jahr 1918 sollte dann auch zum Schick-salsjahr für alle Völker im Osten werden. Die Ukraine hatte bereits als erstes Land die Unabhängigkeit ausgerufen, war aber mit der neuen Zentralregierung der Bolschewiki in Petrograd zerstritten. Berlin und Wien sahen eine neue Möglichkeit, die Karten auch weiterhin zu ihren Gunsten mischen zu können und verhalfen mit ihrer direkten Intervention der bürgerlichen Ukrainischen Volksrepublik zur Macht in Kiew. Mit den Satrapen Pawlo Skoropadskyj als Hetman der Rada und Symon Petljura als Kriegsminister konnte somit die rechts-gerichtete national-chauvinistische alte Politik der ewig Gestrigen weitergeführt werden. All diese Heuchler und Halunken standen im Machtkampf mit der legitimen sowjetischen Regierung der Ukraine in Charkiw. Dieser kurze Spuk sollte im Februar 1920 mit dem Einmarsch der Roten Armee in Kiew enden. Die Habsburger Monarchie hatte nach ihrem Zerfall und dem Ausscheiden aus der Weltpolitik den Revanchisten in Warschau und Kiew das Feld überlassen. Der Streit entzündete sich um Galizien und Halytsch-Wolhynien. Polen und Ukrainer wollten alte Grenzverschiebungen aus dem 18. Jahrhundert zu ihren Gunsten rückgängig machen. Ostgalizien hatte eine überwiegend ukrainische Bevölkerung, und wenn man eine geologische und topographische Analyse zu Grunde legt, gelangt man unweigerlich bis in die Karpatoukraine und Bessarabien mit ihren reichen Bodenschätzen. Im Dezember 1918 begannen abermals die Kämpfe der neuen und alten Kapitalistenbüttel in Wolhynien.
Wer durch winterlichen Schnee stapft und versucht, sich warmzuhalten, indem er in seine Hosen pinkelt, merkt schon bald, wie die angenehme Wärme durch beißende Eiseskälte ersetzt wird. Man ist auch gewillt zu sagen: Betrüge dich selbst, und die Rechnung folgt auf dem schlanken Fuße!
Am Anfang standen sich Polen und Ukrainer zwar noch feindlich gegenüber, vereinten jedoch im kommenden Jahr ihre Interessen und Kräfte, um gemeinsam gegen die junge Sowjetunion zu kämpfen. Józef Piłsudski sah im Krieg seine Chance gekommen und konnte den Ausgang für das neue und rechtsgerichtete Polen entscheiden. Galizien ̶ Ost und West, fiel 1919 an Polen wie auch später der Westteil der Ukraine. Man ist gewillt zu sagen: Pack schlägt sich und Pack verträgt sich! Piłsudski sollte dann später in seinem Land eine pro-faschistische Regierung bilden und mit seinem neuen ukrainischen Freund und Glaubensgenossen, Symon Petljura, im Polnisch-Sowjetischen Krieg (1919 – 1921) und auch noch danach Seite an Seite gegen die sozialistische Sowjetunion kämpfen. 2009 erfährt ausgerechnet dieser Symon Petljura vom ehemaligen ukrainischen Präsidenten und gekauften kryptischen NATO-Büttel, Viktor Juschtschenko, die sogenannte posthume nationale Würdigung als unbeugsamer und weiser Kämpfer für die Freiheit und Unabhängigkeit der Ukraine. Das erscheint auch nach 90 Jahren mehr als vermessen. Im Grunde war Symon Petljura ̶ wie auch heute Juschtschenko ein prinzipienloser Opportunist, eine im rauen Wind der politischen Wirren und Intrigen schwankende Gestalt und letztlich ein politischer Versager. Er arbeitete gegen die junge Sowjetunion und lieferte am Ende die Ukraine den rechten polnischen Pans oder Herren und ihre alte Ukrainische Kirche der Römisch-Katholischen Kirche aus. Die Ukrainer hatten schon damals die Wankelmütigkeit und den Verrat am Vaterland erkannt und sich von ihm abgewandt. Das gleiche sollte ihrem zu Recht abgewählten und abgestraften späteren Präsidenten im neuen Jahrtausend ebenfalls passieren. Auch Viktor Juschtschenko wollte sich im engen Verbund mit seiner Premierministerin, Julija Tymoschenko, dem Westen an den Hals werfen und das Land dem Ausverkauf preisgeben. Die alte Geschichte sollte sich somit nach 90 Jahren wiederholen.
Mit der Curzon-Line vom 8.Dezember 1919 hatten die Drahtzieher auf dem internationalen Parkett versucht, eine einigermaßen gerechte Grenze im Osten festzulegen, die der ethnischen Verteilung der vielen Völker entsprechen und ihren Interessen dienen sollte. Die Städte Brest-Litowsk und Lewiw lagen somit auf ukrainischem Boden. Hier bildeten also die Polen nur eine Minderheit unter allen anderen Völkern!
Nachdem der lange Krieg am 18. März 1921 mit der formellen Friedensunterzeichnung von Riga zwischen der Sowjetunion und Polen beendet war, konnte der neue Herr im Land seine Maske fallen lassen und mit seiner eigentlichen Fratze dem unterdrückten Bauern und arbeitenden Menschen in der Ukraine hämisch ins Gesicht lachen. Als Polski Pan würde er dann noch 18 unendlich lange Jahre Ukrainer, Russen und Deutsche unterdrücken. Die Geschichte sollte nun mit polnischer Tinte geschrieben werden, aus den Chemiewerken an „Rhein und Ruhrʺ! Wolhynien wurde geteilt, wie auch die übrige Ukraine ̶ in West und Ost. Ganz Galizien fiel an Polen.
Im Krieg, Bürgerkrieg und Polenfeldzug gaben sich die unterschiedlichen Interessenverbände in Wolhynien die Klinke in die Hand. Als Durchgangsland war der Boden unzählige Male mit Füßen getreten worden und ertrug somit keine weitere Schändung mehr. Vereinzelt waren die ersten Aussiedler bereits zurückgekommen. Mit ihren Pferdegespannen und der Kuh im Schlepptau standen sie nun vor den Ruinen der verwaisten Gehöfte, Häuser und Dörfer. Noch einmal musste neu angefangen werden. Noch einmal musste der gebeugte Rücken: Lehm, Stroh, Holz und Ziegel ertragen, um den Winter überstehen zu können ̶ die erste Aussaat auf die zertretenen und vom Krieg zerfressenen Felder gebracht werden. So manch ein heimatloser Rabe würde wieder an Gewicht zunehmen! Über den Feldern kreisen dann auch gleich vereinzelte Gruppen von schwarzen Punkten, die sich sanft vom flachen Land und den schneebeladenen weiten Wäldern absetzen. Feuchter Atem umhüllt die gefrorenen Wangen, und die Frauen und Mädchen ziehen die ausgebleichten Kopftücher noch tiefer ins blasse Gesicht.
Kaum dass die Menschen wieder heimatliche Erde unter den Füßen hatten, brachen auch gleich die ersten polnischen Nachkriegslumpen und Strauchdiebe in ihr Leben ein. Das schwer erarbeitete Geld für den Neuanfang wurde ihnen förmlich bei Nacht und Nebel aus den Händen gerissen. Ein weiteres Mal standen sie so vor dem farblosen Nichts und der niederdrückenden Hoffnungslosigkeit. Wer hatte jetzt noch Geld oder ehrliche Hilfe anzubieten? Wo die Not am größten ist, da ist auch die Habgier der Schatten aller Heuchler. Andere Nachbarn und Familien mussten selber mit dem Leben zurechtkommen. Sollte es wieder ein Jude aus Wladimir Wolinsk sein, dem sie ein Stück Land abtreten konnten, um Saatgut und Decken für den noch anhaltenden Winter kaufen zu können? Der Bauer geht in Lumpen, verkauft aber doch nie die Grundlage seines Lebensunterhalts! Die Not zwang jedoch dazu. Zwei Jahre sollte die Familie kein Brot sehen, die Kuh würde sie durch die erste schwere Zeit bringen, das Saatkorn teurer als Gold sein. Die Menschen in den Dörfern waren tief gläubig. Im Schein der alten Petroleumlampe flackert dann der grau-schwarze Schatten des Kreuzes an der Wand, um durch das von Reif bedeckte Fenster zu enteilen. Als zu Wasser geschmolzener Trost wird er sich in die mondlose Nacht hineinschleichen.
So vergingen die ersten Jahre des abermaligen harten Neuanfangs in Wolhynien. Die alte Hoffnung lebte von einem Tag zum anderen. Der Winter ging vorüber, der Boden erholte sich. Die Aussaat würde die gepflanzten Körner mit Gottes Hilfe, der harten Arbeit des Bauern und dem Frieden im Land ̶ weit weg von Warschau, Brest oder Kiew ̶ nach einem endlosen übernächsten Sommer und Winter, zu neuer Fülle aufbrechen lassen. Sie hatten das Geld verloren und Schulden aufgenommen. In der Not wird die Gläubigkeit zum heilsamen Trost ̶ nicht nur dem Pastor oder der Gemeindekirche zu liebe! Und so konnte das Füllhorn wieder einmal seine Gaben ausschütten und die Speicher und Kammern mit Zins und Zinseszins beschenken. Das Leben begann sich langsam zu verbessern in den wolhynischen ländlichen Orten. Die Arbeit des Landmannes wurde wieder belohnt. Bescheidener Überfluss salbte den Körper und heilte den Geist. Das Herz in der Brust wollte wieder im gleichmäßigen und gewohnten Rhythmus schlagen. Die Wichtigkeiten des Lebens folgten den Jahreswechseln, den Gestirnen und den Gedanken, die sich mit den Vögeln zusammen zu fernen Lüften abhoben, um an der Himmelspforte vielleicht doch noch Frieden und Dank zu finden. Es ist Sonntag ̶ ein guter Tag, und mit dem gemeinsamen Gebet stimmen alle in den Chor der überfüllten Kirche ein. Durch ein offenes Fenster dringen aus der nahen Ferne orthodoxe Psalme ans Ohr. Auch das ist die Stimme des Erlösers. Melancholische verstohlene Blicke richten sich zum einfallenden trüben Licht. Deutsche, Ukrainer, Russen ̶ ja auch Polen und andere Menschen ihrer Erde sind zurückgekommen oder neu angekommen. Soll der Christ als Christ nun doch endlich in Frieden leben! Das Land ist immer noch fruchtbar. Es wird für einen jeden reichen, der den Abend nicht schon am Morgen verdammt und gerecht arbeiten kann und will. Schmerzlich hart wird die neue Zeit werden. Sie stimmen noch ein letztes Mal in den bekannten Gesang ein, und von den Wänden prallen in sanfter Güte Wellen von Strophen ab, die ein leichtes Beben auf der Haut spüren lassen. Es ist Sonntag ̶ ein friedlicher und guter Tag soll es auch bleiben!
Die Polen in der Westukraine waren alles andere, als nur die gern gelittenen neuen Herren. Den schweren Kriegszeiten im Osten Europas folgte die politische und wirtschaftliche Krise in diesen Ländern. Józef Piłsudski hatte sich zwar anfänglich in sein eintöniges Privat-leben zurückgezogen, wurde aber schon im Mai 1926 von der bittersüßen Muse geküsst, um erneut die Geschicke der polnischen Bourgeoisie zu dirigieren. Im angezettelten Staatsstreich zwang er mit seinen neu formierten Regimentern das Kabinett in Warschau unter Witos zum Rücktritt. Józef Piłsudski wurde also erneut vom polnischen Sejm zum Staatsoberhaupt gewählt. Es folgten nun die Jahre der polnischen Diktatur und des polnischen Faschismus, der im Nazi-Deutschland und Duce-Italien seine Gesinnungsgenossen finden würde! Polen sollte bis 1939 den Westen der Ukraine und eben auch einen Teil Wolhyniens in seinen Klauen halten und ausbeuten! In der Zeit zwischen den beiden Weltkriegen waren also viele Regierungen vom Weg abgekommen. Die einen Länder entwickelten sich hin zum offenen Faschismus ̶ zur monopolkapitalistischen Diktatur. Die anderen Staaten waren noch offiziell Demokratien, hatten aber ihr großes koloniales Erbe im Gepäck, wie Großbritannien oder gar Frankreich. Sie alle wiesen mit dem verbogenen Finger auf das neue Lebensprojekt, das sich in der Sowjetunion entwickeln sollte. Würde es dort besser oder schlechter sein zu leben, bleibt dahingestellt? Jedenfalls ist hier ein ernster Versuch unter-nommen worden, dem arbeitenden Menschen das Glück auf Erden zu ermöglichen. Schon Lenin hatte mit seinem Kriegskommunismus und dem ersten Fünf-Jahresplan seine Bedenken geäußert ̶ der noch jungen Sowjetunion blieb aber keine andere befreiende Wahl. Das große Land sollte und wurde unter ungeheuren Schmerzen und Geburtswehen aus der langen Steinzeit und dem Feudalismus geführt. Die Feinde ringsherum waren jedoch nicht nur einfach kapitalistisch-pseudo-demokratische Wirtschaftsgegner, sondern im wahrsten Sinne des Wortes: Räuber, Barbaren, Kapitalistenbüttel und eben auch noch Faschisten!
Der einfache Mensch und Bauer in Wolhynien hatte ja genug mit sich und seinem Acker zu tun. Wer hatte da die Zeit, an große Weltpolitik auch nur zu denken? Doch wenn der schwer erarbeitete Ertrag auf den Feldern wieder einmal von dunklen Gewitterwolken überschattet wird, dann wird der Kopf auf den Schultern vom ewigen Grübeln und Nachdenken schwer und zerbrechlich. Die erzwungenen Aufbaujahre nach dem Krieg waren schon eine eigene Last für sich, sodass sich die faden Gedanken nur auf die Frucht im Boden konzentrieren wollten. Die Frucht im fetten Schwarzerdeboden und von Gottes Gnaden das waren vor allem: Kartoffeln, Getreide, Kohl ̶ die Kirschen oder Äpfel der Obst-bäume, sowie das Geschenk der Tiere, sei es Milch ̶ Buttermilch oder deren Fleisch am Sonntag. Auch während der Woche war Speis und Trank der Wolhynier eher deftig-einfach, bescheiden und kalorienreich. Aus Mehl formte sich nicht nur das tägliche Brot, sondern auch jegliche Art von Teigwaren, ob süß, sauer, mager oder fett. Gefüllte Teigtaschen bilden bei allen unter-schiedlichen Völkern des Ostens eine beliebte Grund-lage der Ernährung, was auch in heutigen modernen Zeiten immer noch der Fall ist! Der Mensch ist oftmals in seiner Kommunikationsbereitschaft anderen Kulturen gegenüber faul und ignorant, findet aber beim Essen schnell zu gegenseitigem geistigen Austausch. Mit einem zufriedenen Bauch lässt sich die Lebenspein leichter ertragen! Die Dörfer im Umkreis von Wladimir Wolinsk hatten genug mit sich und ihrem Gemeindeleben zu tun. Den Tagesablauf bestimmten das Feld und das Vieh. Der Sonntag war in allen Gemeinden der Kirche vorbe-halten. Wenn die Zeit es erlaubte und der Vater guten Willens war, dann fuhr die Familie auch schon einmal zum Wochenmarkt nach Wladimir Wolinsk. Man tauschte Naturalien gegen Waren und war auch hier wieder dem Kalkül und der offenen Habgier der jüdischen Händler ausgeliefert. Mit einem vollen Sack Kirschen gegen ein buntes Halstuch für das Mädchen sprang dem Bauern erneut die Unverhältnismäßigkeit der Dinge förmlich ins Gesicht!
Die Kühe waren gemolken, das übrige Viehzeug versorgt, da knackte es verdächtig früh am Morgen im Dachgebälk des wieder aufgebauten einfachen Bauernhauses. Schon stand der Großvater an der Tür ̶ das Schimpfwort lag ihm bereits auf der Zunge. Leicht rieselte Stroh von oben vor die Fensterluke. Waren da etwa wieder Lumpen am Werk und wollten der Familie erneut das Leben schwer machen? Mit einem schnellen beherzten Satz stürzt er zur Tür und ins Freie. Da sitzen die beiden Halunken schon auf dem halb abgedeckten Dach und wollen noch mehr Strohbündel hinunter-werfen. Ihre Überraschung weicht einer verklemmten Entschuldigung. Was wollen sie der Familie denn noch stehlen? Mit dem Knüppel in der Hand tritt der Hausherr ihnen entgegen, als die Vernunft wieder in den Kopf des Vaters fährt. „Kommt erst einmal herunter und zu Tisch!ʺ „Wir haben Pilze, Beeren und frische Eier für Euch.ʺ „Es wird doch wohl für unsere neuen Gäste reichen?ʺ ̶ ruft er auch noch gleich der erschrockenen Frau entgegen. Die beiden Gelegenheitsdiebe sind in ihrer eigenen Überrumpelung gefangen und doch dankbar für den friedlichen Ausgang. Frisch gestärkt werden sie dann auch gleich das halb verwüstete Dach noch besser wieder herrichten und neu decken. Es sollte doch endlich für alle Menschen Frieden im Land sein! Die ersten Jahre nach dem überstandenen Krieg waren schon schwer genug, da brauchte man keine neuen Feinde, Widersacher oder missmutige Nachbarn mehr.
Am Abend zieht ein leichter Wind auf. Vereinzelt wehen vergessene Strohhalme vom neuen Dach und tanzen zu den nahen Irrlichtern, die vom Wald und seinen Auen herüberleuchten. Die Hühner picken noch die letzten Körner vom Boden, bevor sie sich in ihren Verschlag zurückziehen. Im Schein der Lampe schlägt die Mutter noch einmal die Bibel auf und stimmt ein Lied an. Leise summen die Kinder beim Einschlafen mit, um dann in der Stille am Herd in die Nacht einzutauchen. Ein letztes Mal verbellt der kleine Hund den alten Kater vor der Tür, rollt sich in seinen Schwanz ein, um dann doch noch müde zu verstummen. Sanft weht herbstlich feiner Regen vorbei.
Wer 14, 15 oder vielleicht sogar 20 Hektar Land besitzt, kann sich glücklich schätzen und seine Familie reichlich ernähren. Das Land war und ist auch heute fruchtbar und die Wälder noch unberührt. In Deutschland ist ja schon Jahrhunderte zuvor der Grund und Boden unter den Reichen und Mächtigen verteilt worden. Zu viele Menschen drängten sich auf engstem Raum, um den Großgrundbesitzern dienen zu müssen. Wer eben nach Wolhynien kam, der wusste, hier wartet auch nur Arbeit auf ihn. Doch es war die Arbeit, die sie am Ende selbst bestimmen konnten. Der Zar war noch recht großherzig, und so sahen die ersten deutschen Einwanderer den Schwarzerdeboden als ihre Zukunft an. Es musste alles urbar gemacht, Wälder, Wiesen und Felder erst gerodet und angelegt werden. Alles zuvor verbrannte, zerstörte oder geraubte Gut konnte ersetzt werden. Was blieb, war die Erde, und das war guter und sehr fruchtbarer Schwarzerdeboden ̶ Boden, für den es sich auszahlte, wieder ein weiteres Mal neu anzufangen. Mit dem Pferdegespann zieht der Bauer dann die Furchen. Das Jahr geht ein weiteres Mal zu Ende. Nach der bewährten Drei-Felderwirtschaft muss das Winter-getreide vorbereitet, einem anderen Teil des Bodens die verdiente Ruhe gegeben werden. Und dann traben die beiden Pferde auch schon an, um mit dem Bauern noch den Tag zu nutzen. Nicht alle Wälder der nahen Umgebung sind bereits von Menschenhand kultiviert. Dicke hohe Bäume verbergen sich hinter ihrem abfallenden Laub. An manchen Stellen versperrt noch dichter Urwald die Sicht auf Stimmen oder Kreaturen. Es gibt noch echte Wölfe und anderes wildes Getier in den Mooren, Wäldern und Auen der Ukraine, Belorusslands und Russlands. Wenn Hunger und Kälte an den Gedärmen nagen, dann schleicht sich der Wolf bis in die Dörfer, Höfe und Stallungen der Menschen. Wer in seinem Hunger auf leichte Beute den Menschen aufsucht, um den muss es schon arg bestellt sein in seiner Verzweiflung. Gerade noch sollte der Mann dem Schatten des heranspringenden Wolfes ausweichen, als die Bestie schon wieder zu einem neuen flinken Satz ansetzt. Wilde Tiere meiden normalerweise die Zivilisation und all ihre un-bekannten Nebenerscheinungen. Doch diesmal war es aber anders. Der Einzelgänger konnte nur auf eine schnelle Beute hoffen, zumal das eigene Rudel ihn bereits verstoßen hatte. Erneut griff er Mann und Ross an. Das Hemd war bereits aufgerissen, der Oberarm blutete schon schrecklich, als Mensch und Tier noch zu Boden geworfen um ihr gegenseitiges Leben rangen. Mit seinen mächtigen Zähnen hatte sich der Wolf in der Jacke festgebissen. Wieder und wieder zerrte sein Gebiss am Stoff und schüttelte dabei den grauen Kopf, um das überraschte Opfer von sich fernzuhalten. Der eigentliche Kampf dauerte nur wenige Minuten, so wie auch die Hitze des Gefechtes im wahren Leben nur Sekunden verschlingt. Alles dramatisch aufgebauschte Gerangel um die Oberhand ist pure Hollywood-Tragödie im erbärmlichsten Sinne des Wortes. Noch einmal huschte der Schatten an seinem Gesicht vorbei, riss den Mann erneut zu Boden und verschwand in der Nebelwand des Waldes. Die Pferde zitterten immer noch vor nervöser Angst, Überraschung und dem Drang zur panischen Flucht. Mit den Hufen kratzten sie den vom Urin aufgeweichten Boden auf, um sich nur mit Mühe und harter Geduld beruhigen zu lassen.
Für einige Zeitgenossen waren die Zwanziger Jahre die · Goldenen Jahre ·, wenn es um die zu toll gewordene Trunkenheit neuer oder auch alter Schieber, Zwischenhändler und anderer dekadenter Menschheitsbeglücker gehen sollte. Für andere Erdenbürger beschränkte sich der Lauf der Zeit eben doch nur ungewollt auf den Rhythmus des Dorfes, der Jahreszeiten und die Hoffnung auf einen dauerhaften Frieden nach all der erlittenen Pein. Auch für Polen und die neuen okkupierten Gebiete in Wolhynien stellten die leeren Haushaltskassen ein Problem dar. Der große Nachbar im Osten, die Sowjetunion, befand sich noch in seinem Kriegskommunismus und der Geburt einer neuen Zeit. Die Probleme der Welt, der Börsen und Nachkriegsspekulationen, ob in New York, Warschau, Paris, Berlin oder London, konnten auch in den anderen europäischen Ländern und Amerika nicht von lauter Straßenreklame, Tingel-Tangel-Tanz und wertlosen Aktienpaketen gelöst werden. In der Zeit zwischen den beiden großen Weltkriegen und der kommenden Weltwirtschaftskrise wurde somit erneut der Raum für Despotie, Militarisierung und den späteren Faschismus geschaffen. Betrachtet man die Geschichte der Völker dieser Welt, so treten häufig eben nur die Belange der Europäer oder Amerikaner in den Vordergrund. Was Faschismus als übelste Gattung des Imperialismus bedeutet, ist mehr als bekannt. Der bürgerliche Demokrat ist hingegen nobel und gerecht, um seine Kolonien in Afrika, Asien oder sonst wo auf der Welt zu rechtfertigen. Polen hatte versucht, seine erbärmliche Chance nach dem Krieg zu nutzen. Das diesem Land angetane Unrecht in vielen vergangenen Jahrhunderten sollte der polnische Faschismus beenden ̶ neues Unrecht also mit altem Unrecht gleich-setzen. Auch in Schlesien und anderen Westprovinzen versuchten die Polen, den Expansionsdrang zu überschätzen. In den Kämpfen mit den deutschen Freikorps von 1918-1923 ging es auch um handfeste kapitalis-tische Auseinandersetzungen. Da kam es den umtriebigen Seelenverkäufern ̶ auf der ewigen Suche nach Absatzmärkten und Rohstoffen ̶ nur recht, dass Kapp, Hitler oder Piłsudski mit ihrem Räuber- und Mörder-charakter den Lauf der Dinge bestimmen wollten. Angelsächsische Demokraten waren jedoch eben auch nicht viel besser ̶ wie Churchill, der in der britischen Kolonie Burma den dankbaren Militärbüttel mimen durfte und schon Anfang der zwanziger Jahre des verblassten letzten Jahrhunderts Sulaimaniyyah im irakischen Kurdistan mit Giftgas bombardieren ließ. Die Türken hatten ihr osmanisches Kolonialreich nach 1918 zwar verloren, es kamen aber neue „Helfer” ̶ Demokraten und Missionare, die den Arabern wieder einmal die Freiheit rauben wollten ̶ genauso wie heute! Wolhynien war weit weg, lebte sein einfaches neues Leben in ländlicher Bescheidenheit und sollte dennoch ein Teil des ewigen Strebens und fremder Missgunst bleiben.
Oh geliebter heiliger Bojan ̶ Retter vor den Tartaren, den Hunnen, als auch Türken, Chasaren, sowie Schweden, Franzosen, den Deutschen und sogar Polen ̶ erlöse uns ein weiteres Mal von der schlimmsten aller Gefahren und allen Übels in unserer vom Schöpfer so verlassenen Heimat.
In den Jahren von 1931/1932 erschütterte die Völker des Ostens eine neue Geisel der Menschheit. Der Krieg mit all seinen Folgen, wie anschließendem Bürgerkrieg, forcierter Industrialisierung, Kollektivierung und weitreichender Umgestaltung auf dem flachen Land, hatte die Sowjetunion an den Rand des Absturzes gebracht. Ab 1928 wurden die Fünf-Jahrespläne eingeführt ̶ die neue Gesellschaft und Nation grundlegend verändert. Auch alle anderen Nachbarn ̶ ob Freund oder gar Feind, sollten mit in den Strudel der Veränderungen und des unverschuldeten Verderbens gezogen werden. Von der Westukraine über Südrussland, an die Ufer der Wolga und den Nordkaukasus, bis nach Kasachstan und Westsibirien sollte sich die Pest des Mittelalters aus dem Jahre 1348 wieder auf den opferreichen Weg machen. Als Holodomor (Голодомор) würde sich die katastrophale Hungersnot für Mensch und Tier in die ausgemergelten Körper und verbrannten Seelen einfressen. Auch über den von Polen besetzten Teil Wolhyniens zogen leichte Nebelwolken des Hungertodes. Bis zu zehn Millionen arme Menschen haben damals ihr Leben verloren, mit allen möglichen und unmöglichen Haustieren ihren Hunger gestillt. Das Stroh der Dächer der Häuser landete in den Kochtöpfen bis nur noch die nackte Erde übrig blieb und der Kannibalismus unter den Menschen die Sinne verrückt werden ließ und aus den aufgedunsenen Bäuchen die letzten verpesteten Gedärme platzen sollten. Danach kamen die wenigen Jahre des trügerischen Friedens bis 1939, in denen sich das Leben wieder um die Familie und die alltäglichen Belange drehte. Mit dem Deutschen Reich hatte sogar Polen noch unter Józef Piłsudski am 26. Januar 1934 einen Nichtangriffsvertrag geschlossen und somit auch die Politik Hitlers geteilt. Nach der deutschen Annexion des Sudetenlandes besetzten auch Polen und Ungarn einen kleinen Teil der Tschechoslowakei in ihrem eige-nen Expansionsdrang. Man muss wissen, dass viele Ostblockländer pro-faschistische Regierungen in den dreißiger Jahren des letzten Jahrhunderts hatten und dann aber auch noch im Zweiten Weltkrieg an der Seite des Aggressors standen. Bis zur endgültigen Ausbürgerung der Deutschen aus Wolhynien und der Umsiedlung in den Warthegau sollte sich der trügerische Frieden wieder einmal an seinen eigenen Haaren aus der stinkenden Abfallgrube der manipulierten Ge-schichte ziehen. Nur einige zu kurze Jahre des Verschnaufens blieben dem Gaul auf der umgegrabenen Feldscholle, um noch einmal den Pflug in den Boden zu rammen. Familien wurden auch in diesen Jahren gegründet und Kinder geboren. Die Kirchengemeinde blieb sogar in jener Zeit noch intakt, und der Mensch wusste, die Dinge so zu nehmen, dass der Familie kein Schaden an Leib und Seele entstünde.
In der Stille der Nacht trägt der Mond zaghaft seine fahlen Strahlen durch die hohen Wipfel der Bäume. Eine leichte Windböe lässt das abfallende Laub über die Auen gleiten. Aus der Ferne erstirbt das kratzende Geheul eines alten Wolfes. Die kalte Jahreszeit schiebt bereits ihre ersten Nebelbänke über den Fluss. Stumme Blicke begleiten die gesenkten Häupter der Menschen. Stalin und Hitler haben einen Vertrag geschlossen, und jetzt sollen alle wieder einmal in Wolhynien und andern Ortes die sieben Sachen zusammenpacken, um in eine andere nicht gewollte Zukunft zu versinken.
Am 24. August 1939 hatten die beiden Außenminister Deutschlands und der Sowjetunion, Ribbentrop und Molotow, einen Nichtangriffsvertrag geschlossen. Der imperialistische Eroberungskrieg gegen Polen war damit vorgegeben. Das Deutsche Reich griff daraufhin am 1. September 1939 Polen an und war drauf und dran, ganz Polen zu besetzen und bei passender Gelegenheit auch noch gleich in andere Ostgebiete einzudringen. Am 17. September gab Stalin den Befehl zum Einmarsch der eigenen Truppen nach Ostpolen. Sicher kann das auch heute noch in seiner Bedeutung falsch ausgelegt werden. Man muss wissen: Polen war bis dahin ebenfalls ein faschistisches Land, das die Westukraine seit 18 Jahren okkupierte, und noch sehr viel wichtiger ̶ der kommende große Weltkrieg gegen die Sowjetunion konnte um zwei Jahre hinausgeschoben werden!
Der Mensch wird geboren, drängt sich in die Welt und macht nur Scherereien. Bei acht kleinen Kindern in der Welt konzentriert sich der Kosmos auf die Familie und das Überleben für den morgigen Tag. Der einzig wahre Kosmos in der luftigen Stratosphäre mit all seinen goldenen Gestirnen ist für Leute vorbehalten, die sich von der Berufung zu Höherem auserkoren sehen. Gib dem Menschen eine Uniform und er wird sein Gesicht ändern. Die Hitlers, Francos, Mussolinis, Piłsudskis, Churchills oder andere Mondscheinanbeter im demokratischen Mantel der Verblendung fühlten sich mehr als nur in die Welt gedrängt und drängten darum all die Umsiedler und anderen Neuschuldner mit ihren viel zu vielen Kindern und leeren Mägen in die Arme der Glücksritter ̶ Anbeter des ewigen · Goldenen Kalbes · und des kommenden Krieges.
Im Dezember 1939 macht sich die Familie auf den langen Treck in die neue Heimat. Polen ist von Hitler besetzt, Ostpolen wieder an die Ukraine zurückgegeben. Das Hauptamt Volksdeutsche Mittelstelle (VoMi) ist zuständig für die Verwaltung und Verteilung sämtlicher Hilfsgelder für die Volkstumsarbeit. Zwischen 1939 und 1940 betreut diese staatliche Organisation die Umsiedlung der deutschen Volksgruppen unter der Losung: Heim ins Reich. Die VoMi siedelt bis 1940 rund eine Million Volksdeutsche vor allem in den annektierten Gebieten an – in den drei Reichsgauen:
Wartheland, Posen und Danzig-Westpreußen.
Viele Wolhynier finden bis 1945 im Warthegau ihre neue Heimat. Der einstmals deutsche Verbündete im Geiste und der Ökonomie ̶ der Pole, wird nun zum Interessengegner. Der Kapitalist hat ja auch im Grunde seines Herzens keine echten Freunde, sondern eben nur Partner gleicher Interessen auf Zeit. Und so soll die Zeit für sechs lange Jahre stillstehen.
Im Jahre 965 unterwirft Swjatoslaw I. Igorewitsch, Fürst von Kiew, die Völker im Süden Russlands und des Nordkaukasus, die zum Judentum übergetreten waren und nichts mit den eigentlichen Semiten in Palästina zu tun haben. Die Chasaren des Kaukasus werden in den Norden abgedrängt, um dann als Aschkenasen und andere Blutverdünner sogenannter semitischer Reinheit ein Jahrtausend später eben auch von den besetzten und unterwürfigen polnischen Bütteln, auf ihrem Marsch in die KZ, den Nazischergen ausgeliefert zu werden. Drei Millionen Opfer in Polen lassen sich logistisch eben nur durch Mithilfe der einheimischen Bevölkerung bewältigen! Während des Krieges steht der Pole in seiner Mehrheit aufseiten der Deutschen, nach dem Krieg dreht er seine Fahne und wird zum Verfolger seines ehemaligen Brotgebers. Sicher hat auch manch ein Pole um seine Heimat gekämpft, sich aber dann doch die Kastanien von der Glorreichen Roten Armee aus dem Feuer holen lassen. Wie dem auch sei ̶ der Großvater kam erst im Januar 1940 mit dem Pferdewagen im Warthegau an, um dann auch gleich als Soldat an der französischen Westfront zu dienen. Manch ein vergessener Reservegeneral oder auch Reichsdeutscher konnte die angenehmen Dinge des Lebens aus diesem Land seiner verwöhnten Frau nach Hause schicken. Nur ein einfacher kurzer Brief mit zehn Lorbeerblättern war die ganze erlaubte Exotik für den Wolhynier an seine Frau.
Die Kinder, aus ihrer kurzen Kindheit gerissen, begaben sich auf ihre erste Zeitreise des langen oder auch ungewollt kurzen Lebens. Die Kindersterblichkeit lag, eben auch bedingt durch den Krieg, sehr hoch. Am Ende sollte alles noch viel schrecklicher und schlimmer werden für die Frau, die Kinder und eben das ganze Land. Es sollte die Zeit der Kindersklaverei nach dem Krieg kommen, als sich die neuen befreiten Herren und bejubelten Banditen nur noch durch die sowjetische Armee bändigen ließen. Durch den schweren Gewehrkolbenhieb zu Boden geworfen lag sie da im Dreck und konnte sich, benommen vor Schmerz, nicht einmal mehr die Seele aus dem Leib schreien. Der Pole hätte ihr eigener älterer Sohn oder jüngerer Bruder sein können, der in seiner blinden Wut noch die leibliche Mutter schändet. Die Zeit der Befreiung war auch die Zeit der Lumpen und Halunken, die eben nur Frau und Kind malträtieren und morden können. Wie schon immer in der Geschichte menschlicher Verwerflichkeiten: Der Mann schlägt die Frau und wird somit zum Grundübel für jede Form der Despotie und des Faschismus.
Ohne Eltern mussten die Kinder ein ganzes Jahr im Chaos vegetieren und auf dem erneuten Rückzug von Konin nach Warthbrücken die sowjetischen Panzer von Blut, verschmierten Gedärmen und Kot des Feindes und anderem Kriegsdreck säubern. Bis 1946 sollten sich dann auch die Revanchisten im befreiten Polen an den Deutschen austoben. Die denunzierte Mutter würde ihren Glauben im erzwungenen polnischen Gefängnis stärken müssen, der Erschießung durch das beherzte Eingreifen des sowjetischen Stadtkommandanten entgehen und am Ende die wenigen nicht geraubten not-wendigen Sachen verpacken. Dann ging es abermals auf den langen Marsch in eine weitere neue und fremde Heimat ̶ nach Westen ins deutsche Kernland. Hundert Jahre vorher sind die Deutschen in den Osten ausgewandert, um dann am Ende wieder dort anzukommen, wo sich der ewige Kreis der Vergänglichkeit schließt. Wolhynien lag weit weg, um in der Erinnerung zu versinken. Es hatte sich auch dort in den letzten Jahren alles verändert. Bis zu 70% der deutschen Wehrmachtskontingente befanden sich noch zu Kriegszeiten auf dem Gebiet der Ukraine. Das Land ist unzählige Male verwüstet und von Panzern umgepflügt worden. Die Front hatte sich fast an jedem einzelnen Tag des Krieges ständig verändert. Wolhynien wurde erneut zum bekannten „Durchgangsbahnhofʺ der blutigsten Geschichte. Mit der Operation Bagration vom 22. Juni 1944 durch die Pripjet-Sümpfe, zur Befreiung der verlorenen Gebiete, erstreckte sich die Front in Belorussland und den Ausläufern bis ins baltische und ukrainische Gebiet auf einer Länge von 1000 Km. Minsk war das Hauptziel, und so erfolgten dann auch die Stoßrichtungen im Zentrum des kommenden Sturms auf Witebsk, Mogilew und Bobruisk. Zwangsläufig wurde auch wieder einmal Wolhynien betroffen. Vielleicht sollte es so sein, dass dieses düstere Verwüstungsepos den Umsiedlern in der Ferne erspart geblieben ist. Die noch starke deutsche · Heeresgruppe Mitte · war mit ihren 28 Divisionen zerschlagen worden und Minsk wieder eine freie Stadt. Bis an die Weichsel kamen die kämpfenden Truppen, um dann zu Beginn des Jahres 1945 bereits an der Oder zu halten und die Deutschen Zivilisten im Warthegau hinter sich zu lassen. Polen war schon befreit, da wurde noch im Deutschen Reich gekämpft. Das Jahr 1945 bis 1946 ist dann eben auch zum Schicksalsjahr für sehr viele Menschen geworden. Die Männer waren noch im Krieg oder in der Gefangenschaft. Allein Frauen und Kinder zahlten die Zeche des sechsjährigen „Trinkgelages”. Wie es schon damals gewesen ist, so hat sich auch heute leider nichts in der Zeit moderner nuklearer Kriege geändert!
Handskizziertes Kartenmaterial und die wage Erinne-rung an den verlorenen Ort Boscha Wola bei der alten Stadt Wladimir Wolinsk bekommen ihr vergessenes Leben zurück. Im Krieg raste die · Erste Belorussische Front · durch diesen Landstrich, und was die Panzerketten der flüchtenden Wehrmacht und der heranrückenden Roten Armee nicht platt gemacht hatten, kam nach dem Krieg unter die Kolchostraktoren, Drei-Felderwirtschaft oder auch: Триполекултура. Die deutschen Dörfer sind verschwunden, neue Umsiedler aus der riesigen Sowjetunion mussten hier eine andere neue Heimat finden ̶ ab 1939 und dann noch einmal ab 1945. Sicherlich ist auch für die nachkommenden Generationen in diesem Teil der Ukraine die deutsche Geschichte fremd geblieben. Auf dem Kartenmaterial vieler selbst ernannter Gutachter werden heute Fehler und falsche Eintragungen bewusst hineingesetzt. Besitzansprüche werden nach Jahren erneut manipuliert oder gar neu erfunden. Aussagen von noch lebenden oder schon verstorbenen Zeitzeugen werden wieder einmal infrage gestellt. Heute mag dieser Aspekt der Geschichte einem fremd vorkommen. Bereits der Großvater hatte sich darüber schon damals in Hannover furchtbar aufgeregt und seinen Besitzanspruch bei der argwöhnischen Behörde mit dem „Knüppel” geregelt!
Bei der Ahnen- und Familienforschung stößt man eben leider all zu oft auf ziemlich dubiose Aufarbeitungen aus den USA und Israel, um die Sache einmal beim Namen zu nennen! Man weiß ja selber sehr genau, wenn keiner geschönte Geschichtsfälschung rechtzeitig bemängelt, werden angestammte Rechte missachtet. Darum ist es heute wichtiger denn je, die Wahrheit zu nennen. Das sind die Nachfahren ganz persönlich ihren Ahnen schuldig. So ist heute Erich Weger-Wladimir der noch einzige lebende und authentische wolhynische Kunstmaler, der die damaligen Umstände der polnischen Be-satzung und der Vertreibung in den Warthegau erlebt hat! Auch das nicht gerechtfertigte und Gott sei Dank, nicht vollstrecktes Todesurteil der polnischen Exilregierung in London gegen die Mutter, die von der Roten Armee dann in letzter Minute gerettet wurde, stellt die Geschichte ins rechte Licht. Von einst acht Geschwistern überlebten den Zweiten Weltkrieg nur vier. Als direkter Augenzeuge der brutalen Kampfhandlungen in Posen und in Wartbrücken oder andern Orts versteht Erich Weger-Wladimir all das als Künstler in seinen Werken immer wieder neu zu verarbeiten; auch noch nach 60 zeitlosen Jahren!

Der ehemalige sowjetische Stadtkommandant in Polen und Schicksalsapostel des Augenblicks für die arme Frau im unrechtmäßigen Gefängnis war bestimmt als Atheist kein gläubiger Mensch gewesen und wohl gerade als solcher Gott und den Dingen auf Erden am nächsten gekommen wie halt alle Atheisten, die dem Sinn des kurzen Lebens nachgrübeln! Was hatte denn die denunzierte gläubige Frau und arme Mutter dort verloren neben dem zu Recht ertappten französischen Agenten und dem noch blutverschmierten SS-Lumpen? Das Standgericht am frühen Morgen war für beide der Weg in die verdiente Hölle!

Vielleicht würde doch noch die Natur zwischen Elbe und Ural langsam ins Gleichgewicht hineingleiten, so wie im Leben alles dem unendlichen Lauf der Natur auf Erden unterliegt. Sollte in den nächsten 50 Jahren das Pendel aus dem Gleichgewicht fallen und die Ukraine einmal Mitglied der Europäischen Union werden, dann kommen bestimmt so einige der Nachgeborenen mit vermeintlichen oder gar echten Eigentumsansprüchen. Dies mag zurzeit noch abstrakte Zukunftsmusik sein ̶ so manch anderes „auserwählte” Volk hat da seit 2000 Jahren ganz andere Ansprüche und versucht, diese eben auch mit direkter Gewalt durchzusetzen!