19 Jan 2013






4 · DIE KUGEL VOM EBRO



Das Geschoss drang auf der linken Seite seines Schädels in das Os Temporale ein, fraß sich durch sein gesamtes Gehirn, um auf der anderen Seite durch die Wucht der Explosion eine kraterweite Öffnung im Bereich des Os Occipitale zu hinterlassen. Im Bruchteil einer Sekunde wurden die Bereiche: 41, 42 und 22 des primären auditiven, sowie die audiopsychischen und audiomotorischen (Gleichgewicht!) Zentren zerstört. Auch das Sprachzentrum in der Region 44 von Broca bekam seinen leidlichen Schaden ab.
Beim Austritt der angefeilten Dum-Dum-Kugel spritzten noch Teile der Großhirnmasse der Bereiche: 17, 18, 19 und 19s auf den Boden katalanischer Erde, die für die Vision und das kognitive Sehvermögen verantwortlich sind. Glücklicherweise kam der Aufprall nicht frontal auf ihn heran, sonst hätte sich das totbringende Metall die Zentren der Ethik im Os Frontale ausgesucht.
Moral und Ethik hatte man ihm ja schon ausgetrieben, als bereits 1936 die franquistischen Rattenfänger in sein Dorf im hohen Rif einfielen, um Söldnertruppen für ihren imperialistischen Krieg gegen das republikanische und glückliche Spanien aufzustellen. Den Ärmsten der Armen wurden Land und reiche Beute unter dem Befehl des Lumpen und Vaterlandsverräters Francisco Franco versprochen. Das gleiche perverse Spiel trieb man mit den italienischen Freiwilligen aus Sizilien, die Mussolini als Neusiedler in seine Kolonien nach Äthiopien und Libyen schicken wollte und dann ebenfalls hier am Ebro aufgehalten wurden.
Die Eltern des für Franco gefallenen Mannes wollten ihren Sohn nicht ziehen lassen. Seine Frau, die er erst ein paar Wochen vorher geheiratet hatte, klammerte sich an seine neue Söldneruniform und schrie sich die Seele aus dem Leib in der Ahnung, ihr Mann wird nicht mehr zurückkommen. Doch bereits schon damals war er taub auf beiden Ohren für alle Ratschläge ̶ wollte nichts sehen, und auch sein Sprachzentrum plapperte nur noch Propagandalügen nach. Sein Gleichgewicht hatte er schon von Anfang an nicht im Leben gefunden.
Jahre später emigrierte seine Witwe in die USA, verdiente sich in einer Hinterhofnäherei New Yorks das Leben und wurde schnell im Mainstream des nordamerikanischen Proletariats integriert. Der Enkel, durch und durch Mac Donald-Amerikaner, sollte unglücklicherweise Jahre später in das gleiche Spinnennetz des Monopol-Establishments geraten und auch als Söldner Verbrechen im Namen eines anderen Lumpen und Kriminellen im Irak des Jahres 2003 begehen.
Das Sein bestimmt eben doch das Bewusstsein ̶ und was ich fresse, kotze ich über die Köpfe unterdrückter Menschen in dieser Welt wieder aus.
Das faschistische Spanien unter dem Hitler und Mussolini-Dünkel, des selbst ernannten Generalissimo Franco, hatte bereits nach dem Fall Teruels und der Aragón-Front seine Finger nach Valencia ausgestreckt, um die rechtmäßige Spanische Republik unter Juan Negrín endlich zu beseitigen. Diese hatte sich auf das hypokritische Spiel der „demokratischen” Länder wie Frankreich eingelassen und schon im Frühjahr 1938 einen Großteil der Internationalen Brigaden nach Hause entlassen. Mehr als die Hälfte der 50000 Brigadisten hatten für die junge Republik seit Kriegsanfang 1936 ihr Leben gelassen. Madrid und das Zentrum befanden sich zwei Jahre später noch in republikanischer Hand, was auch der unersetzbaren Hilfe und dem Aufopferungsmut dieser Menschen aus fernen Ländern zu verdanken war. Als bizarre Anekdote der Geschichte sei die Tatsache erwähnt, dass es sogar eine jüdische Einheit unter den Brigadisten gab, die in bestem Geist des Sozialismus und Antifaschismus für eine gerechte und bessere Welt im Sommer des Jahres 1938 vor den Toren von Gandesa kämpfte. Ihre fetten und reichen Verwandten aus Berlin-Zehlendorf und Neu-Antwerpen hatten schon frühzeitig die Kurve bekommen. Übrig geblieben waren die Bittsteller aus Warschau und Schitomir.
Die Toten und Entkommenen der Nazi-Konzentrationslager drehen sich noch heute im Grabe um, mit ansehen zu müssen, wie ihre Enkel und Urenkel in Palästina die autochthone arabische Bevölkerung seit über 60 Jahren behandeln.
1938 hatten sich die Faschisten in Deutschland und Italien mit ihrer Politik allmählich durchgesetzt. Auch in anderen Ländern Europas gärten reaktionäre Ambitionen ̶ wie in der Tschechoslowakei, im Baltikum, Polen, Ungarn, Rumänien oder Kroatien. León Blum in Frankreich bangte um seinen eigenen wackligen Stuhl, und auch Chamberlain machte seinen Kniefall für die Presse vor Hitler, der faschistischen Großmachtpolitik und dem deutschen Finanzmonopol.
Im Juli 1938 begann die spanische Republik mit ihrer Gegenoffensive. Die Überquerung des Ebro war eine Meisterleistung der strategischen Überraschung.
La Batalla de L'Ebre sollte dann vier Monate dauern und tausenden von Menschen leider das Leben kosten. Sie war aber auch der Auftakt der kommenden Schlachten von Moskau, Stalingrad, Kursk, der Normandie, Halbe oder auch Berlin.
Auch internationale Brigaden kämpften noch einmal an der Seite des legitimen republikanischen Spanien. Es waren Kämpfer für die Freiheit, die in ihrer eigenen alten Heimat entweder nur den institutionalisierten Faschismus oder Raubkapitalismus erwarten konnten.
Zwischen Fatarella und Corbera d'Ebre gruben sich die zerschossenen Knochenreste des Söldners in die Erde ein. Sie konnten 60 Jahre später aus ihrem Fuchsbau geborgen werden. Auch Tiere denken an Vorratshaltung ohne Pathos. Eine leichte Brise wehte über der Serra de Pàndols, die in die Serra de Cavalls übergeht. Die Lichter der nahen Stadt Gandesa konnten bereits vom republikanischen militärischen Hochstand 705 eingesehen werden. Mora und Ascó waren schon in den Händen der Republik. Katalonien hatte seine verdiente Atempause. Dieser trügerische Frieden wird heute durch unsichtbare radioaktive Rauchschwaden des modernen Atommeilers von Ascó überschattet. Es blüht kein Mohn über den Gräbern der Gefallenen, wie es Ernst Busch zum Angedenken der Jarama-Front besungen hat.
Auch in Flix am Ebro (Ebre) hatte bereits 1939/40, nach Ende des blutigen Bürgerkrieges, deutsches Geld den Aufbau der Chemiefabrik finanziert.
Bevor Franco sich nach dem Zweiten Weltkrieg dem US-Kapital anbiederte, um seine eigene erschlaffte Gesäßmuskulatur zu retten, sorgte er noch für die konspirative Basis deutschen Kapitals ̶ vor allem an der sonnigen Mittelmeerküste ̶ und vergaß dabei ganz und gar seine eigene Heimat im kalt-nassen Galizien. Welch ein Heuchler und Erbsenfresser!
Der heldenhafte General Enrique Líster der 5. Armee der legitimen Zweiten Spanischen Republik zog sich über Lleida kommend nach Barcelona zurück. Steil ist hier der Anstieg nach Castelldans, wenn man Artesa de Lleida und Puigverd de Lleida hinter sich gelassen hat. Heute führt die Autobahn: Barcelona - Lleida - Zaragoza - Madrid zu Füßen des Berges an der Anhöhe vorbei.
Enrique Líster Forján hatte in Frunse in der Sowjetunion studiert und die Welt Dank des Marxismus - Leninismus besser verstanden. Sich selbst treu geblieben, ließ er seine Asche 1995 über ehemaligem Schlachtfeld des Bürgerkrieges verteilen. Der aufrechte Mensch gehört zu denen, mit denen er gekämpft und gelitten hat.
Noch Jahre nach der Ebroschlacht von 1938 verdiente sich das verarmte Landproletariat Geld mit dem Bergen des Militärschrotts auf den Feldern und Anhöhen von: Fatarella, Corbera d'Ebre, Mora d'Ebre, Gandesa und anderen vergessenen Ortschaften des Ebro und weiter nördlich zum Riu Segre hin. Es lag so viel herum, dass einem die Arme schmerzten vom vielen Tragen, Bergen und Sortieren. Man konnte gar nicht so viel fressen, wie man kotzen wollte. Vor den Toren von Torres de Segre verstecken sich jetzt die Wildkaninchen in den ehe-maligen republikanischen Schützengräben. Der Feind kommt heute jeden Herbst mit staatlicher Abschusslizenz zurück.
Anfang 1939 war das reiche Katalonien ̶ wie ganz Spanien, verwüstet und verarmt und fiel in die jahrzehntelange franquistische Lethargie. Noch 70 Jahre nach diesem Bürgerkrieg findet man Knochen- und auch Metallreste zwischen den Oliven- und Mandelhainen Fatarellas.
Am Ortseingang vor Castelldans hielt hier die Nachhut General Lísters noch einmal die faschistischen Horden auf, ehe diese über Albagés nach Barcelona durchbrechen konnten.
Das Maschinengewehr hämmerte die ganze Nacht in diesem fernen lauen Herbst von 1938 und konnte der Franco-Armee heldenhaft die Stirn bieten. Auf dem Rückmarsch sollte noch einmal diese Waffe dem progressiven Menschen jener Zeit für ein paar Tage die Freiheit schenken. Zum Jahresende am 29. Dezember 1938 bombardierte dann die christlich-faschistische Luftwaffe mit gnadenloser Gefühlskälte die noch viel befahrene Hauptstraße von Lleida nach Barcelona hin und somit also auch die ersten Dörfer hinter der Stadt des Ponent: Artesa de Lleida, Puigverd de Lleida und Castelldans
Steil zieht sich die Serpentinstraße in Richtung Flix, zwischen Albagés und Granadella, die Anhöhen der Garrigues hinauf. Hier oben auf dunklem Kalksandsteinboden, zwischen weiten staubigen Terrassen jahrhundertealten Kulturlandes, sollte im Spätherbst 1938 noch einmal das hart erprobte Maschinengewehr die Menschheit vor dem Lumpenpack und der Barbarei retten.
Schon zwei Tage versuchten italienische Legionäre, spanische Zwangsrekrutierte Francos und deutsche Legion-Condor-Bomben das Herz des Ponent zu zerstören. Die dritte Nacht brach an, und zu Füßen der Anhöhe, drei Kilometer hinter Albagés, türmten sich die Leichen der Faschisten. Mehr als 2000 Mann dieses Lumpenpacks mussten in den kommenden drei Tagen ihr Leben lassen. Garibaldi-Brigadisten, Pagesos und Sindicalistas aus Albagés, Castelldans und den Dörfern der Segrià und der Garrigues stärkten hier der Republik den Rücken. Es ging um ihr Leben ̶ ihr Land ̶ ihre Sprache ̶ ihre Kultur!
Später errichtete das franquistische Spanien in der vierten Serpentinkurve ein Mahnmal für diese irre-geleiteten Helden. Auch sie waren nur arme Proleten, und so fiel das Monument halt eben bescheiden aus. Das Maschinengewehr konnte jahrzehntelang konspirativ verborgen werden. Es steht heute im alten Dorfmuseum. Es geht darum, die ungerechte Geschichte guter Menschen wach zu halten ̶ also:
Aufbewahren für alle Zeiten!
Das faschistische Denkmal der Nachkriegsjahre, zu Ehren der Fremdenlegionäre, ist eine Randnotiz der Geschichte geblieben. Längst ist der bearbeitete Stein wieder zu ursprünglichem Stein geworden und mit katalanischen Slogans der ERC (Esquerra Republicana de Catalunya) und ICV (Iniciativa per Catalunya-Verds) bearbeitet. So mancher Perro Callejero oder Gós Perdut (Straßenhund) hat seine ergötzliche Notdurft daran gerne verrichtet. Wiederholt Ausgekotztes nordamerikanischer Fast-Food-Ketten und Importspirituosen bereichern die Patina des schäbigen Monolithen.
Wer hier eben unwürdig für den aggressivsten Monopolkapitalismus kämpfte, soll auch in Würdelosigkeit dem Vergessen anheimfallen ̶ Basta!
Feind bleibt Feind ̶ und wer ein Lump auf Erden war, soll auch ein Lump in der ewigen Verdammnis bleiben!
Die Sonne wollte gar ewig leuchten ̶ da viel sie vom Himmel herab und zerbarst. Ihre Scherben schmolzen in der eigenen Glut und vergruben sich in den Leibern
der toten Seelen. Nicht einmal der kalte Mond mochte noch am Ende lachen und verbarg sich hinter seinem eigenen dunklen Schatten!
Els No Passaran ̶ Nosaltres Sí passarem!